06 | Polnischer Tempel

Adresa: Křenová 64/13

Auf den Spuren des jüdischen Glaubens, von Rabbinern, Reformatoren und falschen Propheten.

Der polnische Tempel, auch Polnische Schule genannt, war ein jüdisches Bethaus, das im Jahr 1883 vom Verein „Minjan“ in der Kröna (Křenová) errichtet wurde. Der Verein, dessen hebräischer Name auf das Wort „zählen“ verweist, also auf mindestens zehn Personen, ohne die kein öffentlicher Gottesdienst abgehalten werden darf, wählte einen Ort aus, der bereits seit dem 18. Jahrhundert mit der jüdischen Besiedelung der Stadt Brünn verbunden war. Das Bethaus war für orthodoxe Juden aus Galizien bestimmt, die im Laufe des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach einem besseren Leben aus ihrem armen „Schtetl“ auswanderten und sich in allen Ecken der Monarchie und Welt niederließen.

Polský templ. Foto © Jaroslav Klenovský

Der polnische Tempel. Foto © Jaroslav Klenovský

Pohled a řez Polského templu na ul. Křenová 22. Kresba © Jaroslav Klenovský

Blick und Schnitt des Polnischen Tempels auf die Straße Křenová 22. Zeichnung © Jaroslav Klenovský

Interiér Polského templu. Foto © Židovské muzeum v Praze.

Noch bis Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts diente das schlichte Bauwerk im Hoftrakt eines Mietshauses dem Gebet, bis es von der Firma Frank & Neufeld zu kommerziellen Zwecken erworben wurde. Das Gebäude überlebte zwar die Zeit des Nationalsozialismus und Kommunismus, wurde jedoch im Jahr 2006 bedauerlicherweise abgerissen, wodurch Brünn um eines der bedeutendsten jüdischen Denkmäler ärmer wurde. Der polnische Tempel ist ein Beleg für die komplexe innere Struktur der jüdischen Bevölkerung der Stadt Brünn zu Zeiten der Habsburger Monarchie und der Ersten Republik. In der Stadt lebten Angehörige zahlreicher religiöser Strömungen und Gruppierungen nebeneinander. Aus Galizien kamen traditionelle orthodoxe Juden nach Brünn, deren Zahl während des Ersten Weltkriegs drastisch anstieg, als die Stadt von Kriegsflüchtlingen aus den Frontgebieten überschwemmt wurde. Viele der knapp 16000 Juden in Brünn blieben auf Dauer und führten mit ihren Bräuchen, ihrer Sprache und ihrem unterschiedlichen Äußeren zu einem grundlegenden Wandel der hiesigen Gemeinde. Die meisten der in Brünn niedergelassenen Juden bekannte sich zum reformierten Judaismus, dessen Liturgie und Prinzipien stark von der Aufklärung beeinflusst wurde. Eines seiner Hauptmerkmale war der Übergang zu den Nationalsprachen, im Falle der Stadt Brünn zu Deutsch und Tschechisch.

Budova původního Židovského gymnázia na Hybešově ulici 43. Foto © VRN

Gebäude des ehemaligen Jüdischen Gymnasiums an der Hybešova-Straße 43. Foto © VRN

Die in Brünn lebenden jüdischen Familien orientierten sich traditionell vor allem an der deutschen Kultur, nichtdestotrotz machte sich nach der Entstehung der Tschechoslowakei ein allmählicher Wandel der Situation bemerkbar. Auf dem berühmten Jüdischen Gymnasium in Brünn, das vom Geist der demokratischen Ideale von Tomáš Garrigue Masaryk geprägt war, wurde unter anderem auch in Tschechisch unterrichtet. Neben den gläubigen Juden gab es in Brünn auch säkularisierte Juden, die ihre Identität in der deutschen und tschechischen Nationalität suchten. Zu den Repräsentanten der tschechischen Bevölkerungsgruppe mit jüdischen Wurzeln seien in Brünn beispielsweise die Familie des bedeutenden tschechischen Politikers und Zeitungsmagnaten Adolf Stránský sowie die Familie von Hugo und Pavel Hass genannt; zur deutschen Nationalität wiederum bekannte sich zum Beispiel der Großteil der jüdischen Fabrikanten und Intellektuellen der Stadt Brünn. Ein Kapitel in der jüdischen Geschichte der Stadt Brünn für sich bildet der Aufenthalt Jacob Franks, seines Zeichens Mystiker, selbsternannter Prophet und Kontra-Talmudist, der am Ende des 18. Jahrhunderts im christlichen Europa durch das massenhafte Übertreten seiner Anhänger zum Katholizismus für Aufruhr sorgte.
Jacob Frank.
Jacob Frank.